Kastelruth
Nicht nur für Spatzen gut
Wer den Namen Kastelruth hört, denkt natürlich sofort an die hübschen bemalten Häuser, den alten zentralen Dorfplatz und die lange Geschichte des Hauptortes westlich der Seiser Alm
und seiner Adelsgeschlechter ....nein, schon klar: im Kopf sind eher sofort Spatzen überall. Dabei ist diese spontane Assoziation zwar alles andere als schlecht für den Ort, aber schlicht zu eingeschränkt. Das wunderschöne, auf ca. 1.100m Höhe gelegene Dorf und die zur Gemeinde gehörenden Fraktionen samt Seiser Alm bieten viel, viel mehr.
Mann könnte nämlich ebenso gut auch sofort an berühmte Skifahrer denken (Fill, Karbon) oder die Hexengeschichten, deren kleine Spuren man an einigen Wetterfähnchen, Hausdekorationen und natürlich den Hexenbänken oben auf dem Puflatsch erkennen kann. Und die Nörggelen erst...
Das über 1.000 Jahre alte Kastelruth war, was die Bauten und Strukturen nahelegen, schon lange eine eher gut situierte Gemeinde. Nach einem Brand vor etwa 250 Jahren haben die Einwohner offenkundig mit viel Liebe ihr Dorf wieder aufgebaut.
Die heutige Ausrichtung auf volkstümlichen Schlager beschert dem Ort gleich drei Mal jedes Jahr busladungsweise Spatzenfans. Die Musikerkombo aus den sieben Männern in Tracht und mit ausgefeiltem Marketing ist seit Jahrzehnten allgegenwärtig dort und das Epizentrum ist der "Spatzenladen", der zugleich Souvenirshop und Spatzenaustellung ist. Man sollte sich das einmal ansehen, wenn man da ist.
Der Kirchturm von Sankt Peter und Paul überragt fast alles und lässt leicht den Weg zum Dorfplatz finden, wo Feste und Veranstaltungen stattfinden.
Der Spatzenladen: nicht nur was für Fans der Kastelruther Spatzen.
Nach einem kleinen Spaziergang und einem Caffè habe ich mich in die Höhle der Spatzen begeben. Vorsichtig habe ich aber erst am Eingang gelauscht, ob die Herren womöglich gerade da sind (was vorkommen soll), denn das wäre mir dann doch zuviel der Authenzität gewesen. Es haben zwar tatsächlich zwei Leute im recht großen Laden getanzt, aber ansonsten war freie Bahn. Also rein da und einen richtig "schönen" Kühlschrankmagneten finden...
Natürlich gibt es hier jeden erdenklichen Nippes, konzentriert und wohlausgesucht, alles von K wie Kastelruth bis S wie Spatzen, kaufmännisch durchdacht im Strömungsrundgang gegen den Uhrzeigersinn und mit Impulsartikeln zur Kasse hin aufgestellt. Zum Spatzenfest dürften hier LKW-Ladungen an Fanartikeln durchgehen. Wer dachte, der Kauf von Musikerdevotionalien sei ein Vorrecht kreischender Teenies, wird hier eines Besseren belehrt. Es gibt vom Kopfkissen über Badetücher alles, einschließlich pragmatischer Pillendosen.
Erstaunlich reichhaltig aber zeigten sich die CD-Regale, die neben den Produkten der Protagonisten und den in vergleichbarer Tonart spielenden Künstlern viel enthielten, mit dem einzig die Gemeinsamkeit bestand, dass auf deutsch, oder eher tirolerisch, gesungen wurde.
Früher, als man noch überall CDs kaufen konnte, war es ja üblich, dass man reinhören konnte. Hier hingen aber nirgendwo Kopfhörer.
Also ab zur Kasse und fragen. Und das war eine gute Idee, denn die beiden jungen Menschen dort waren nicht nur sehr freundlich, sondern kannten sich auch noch richtig gut aus im Sortiment jenseits der fedrigen Klänge. Was offen war, wurde aufgelegt.
Die Tanzlieseln mussten jetzt eben zu Hannah und den Volxrockern tanzen, aber 4 CDs und ein bemerkenswerter Kühlschrankmagnet mit Schlernhexe verließen mit mir den Laden; allesamt waren es sehr gute Einkäufe. Darauf konnte ich mir dann zufrieden am Dorfplatz einen Hugo gönnen.
Dieser Ort mit seiner traumhaften Umgebung hat aber noch weitaus mehr zu bieten als diese eine Art von Unterhaltung, die nicht jedem gefallen muss. Tatsächlich ist die Musikantendichte dort auffallend hoch; es scheint das Erlernen eines Musikinstrumentes für die Kinder normal, so dass es viele Kapellen und Chöre gibt, in denen das Talent auch noch nach der Schulzeit gedeihen kann. Natürlich sind damit verbunden zahlreiche Auftritte und Umzüge, die keineswegs nur für Touristen gedacht sind und sowohl sakrale wie traditionell volksmusikalische Themen haben.
Die gute touristische Struktur des Ortes verursacht aber (noch) keine Stimmung billig-bunter, übermäßiger Souvenirshops, vollgestopfter Gassen mit fähnchenschwenkenden
Tourguides oder lauten schlechten Cafés, in denen Sandalen mit weißen Socken tragende Deutsche und Niederländer die aufgetaute Industrietorte schaufeln. Nein, es bleibt idyllisch, so dass man sich auch gern einmal
einfach so dort aufhalten mag. Ich hoffe, dass man es dort schafft, so zu bleiben.
Kastelruth ist nicht nur sehr musikalisch, sondern insgesamt sehr traditionsbewusst und oft in Feierlaune. Der Ort macht viel, was nicht nur für die älteren Gäste interessant ist. Mein ganz persönlicher Eindruck war, dass trotz aller Dankbarkeit für den Spatzenbonus man sich hier durchaus der Zweischneidigkeit eines solchen Flairs der leichteren Muse bewusst ist und die Attraktivität des (ziemlich großen) Dorfes bewusst nicht von nur einem Faktor gesteuert werden soll. Kastelruth ist aktiv, was Veranstaltungen angeht. Und positiv auffällig ist, dass die Jugend hier aktiv mit dabei ist, zumal die ja am besten weiß, was einen Ort auch in Zukunft anziehend macht.
So ganz ruhig ist der Ort damit nicht oft und wenn man den Terminkalender ansieht, scheint es sogar Schlag auf Schlag zu gehen. Das fängt im Januar mit der Bauernhochzeit an, lässt einige Apres-Skipartys auf dem Dorfplatz nicht aus, geht weiter im März über ein Skijöring (eine skandinavische Art Rennen, bei dem ein Skifahrer von einem Pferd gezogen wird), dann den Oswald von Wolkenstein Ritt (mehrtägiges Reiturnier) im Juni, Knödelfeste im Spätsommer/Herbst und letztlich Krampusslauf und Bergweihnacht. Und dann natürlich die zum Sport geradezu nötigende Umgebung, in der es aber auch ruhigere Bereiche gibt, die zum Abschalten von den ganzen Aktionen geeignet sind. Möglicherweise verschwinden die Nörggelen auch deshalb ab und zu durch ihren Tunnel auf dem Kofl nach Fleims.
Ich habe mir eines der vielen Feste, nämlich das Knödelfest (3. Temin), angesehen. Auch, wenn das Wetter nicht so mitspielte: die Marillenknödel waren ausgesprochen lecker.
Direkt vom Zentrum aus kann man einen Weg auf den Kofl zum Turm gehen, der zu einem
zerstörten Schloss gehören soll, (Castellum Ruptum = Kastelruth). Auf dem Weg sind viele Stätten der Erinnerung an die
Leiden Christi, weshalb man auch vom Kalvarienberg spricht. Dort oben soll es auch den Nörggelentunnel geben, der direkt nach Fleims führt. Nur gefunden hat ihn bisher keiner.
Wer zur richtigen Zeit mit gutem Blick dort ist, kann oben aber auch den einen oder anderen lebendigen
Nörggele sehen, der mit der Gestalt eines schelmischen, gelegentlich sogar unverschämten
Kerls den Frauen zotige Bemerkungen zuruft ...oder
Schlimmeres. Die Nörggelewaibele benehmen sich Männern gegenüber nicht viel besser, halten sich aber lieber nicht dort auf, wo viele Urlauber sind.
Dass die Nörggelemander immer sehr dünne Beine haben, ist nicht wahr, zumal die besonders flinken und verträglichen sich ihren Lebensunterhalt inzwischen tagsüber oft als Bergführer verdienen und von daher eher meist kräftige Haxn haben. Die mit den dünnen Beinen allerdings sollte man doppelt meiden, denn die beneiden nicht nur die Menschen um deren Sterblichkeit, sondern auch noch die anderen Nörggelen um deren Witz und Zufriedenheit.
Im Zweifel sollte man bei abendlichen Wanderungen etwas
Rotes oder wenigstens ein paar neue grüne Strümpfe mit dabei haben, denn ein
solches Geschenk macht diese kleinen, nicht ganz ungefährlichen Gesellen
froh und
freundlich, denn in diesen Farben, die ausgerechnet natürlich ihre Lieblingsfarben sind, dürfen sie nur Sachen tragen, die ihnen geschenkt wurden.
Und auf keinen Fall sollte man über die roten Hosen der ganz besonders konservativen Nörggelen lachen oder etwas Kritisches bemerken! Das mögen sie gar nicht.
Wenn es wieder geht, komme ich noch einmal im Dezember dort hin, um die mir 2018 leider verwehrte Bergweihnacht doch noch anzusehen. Vielleicht wird es aber auch noch einmal was im Sommer, denn rundherum ist es auch sehr schön und der Weg über die Alm ins Grödnertal sehr reizvoll.
Hier unten noch ein Blick auf Kastelruth aus der Höhe vom Puflatsch, Seiser Alm, aus. bei schönem Wetter ist die Sicht so gut, dass man die einzelnen Häuser, jedenfalls aber die Kirche sehr gut erkennen kann. Obwohl ich durchaus sehr gern auch das eine oder andere Fest besuche, hat es mir hier oben am Besten gefallen.