Wer tut sowas?
From Dusk till Dawn oder wovon träumst Du nachts
Als an der Nordseeküste aufgewachsene Niedersachsin denkt man bei Urlaub primär an Sonne, Strand und alles, was ordentlich Temperatur hat. Sobald ich es mir leisten konnte, machte ich daher zuerst Fuerteventura, dann Lanzarote zu meinem Sehnsuchtsort.
Südtirol lernte ich im Rahmen einer Busreise kennen, die ich zunächst fast widerwillig als Ersatz für andere Pläne und in völliger Ahnungslosigkeit über dieses Land antrat. So saß ich zwischen vielen älteren Mitreisenden in einem tatsächlich sehr bequemen Reisebus, mit einem leichten Fremdkörpergefühl.
Und es begann wirklich gar nicht schön, denn wir fuhren direkt in eine Hotelbaustelle, die noch deutlich vor sieben Uhr Stemmarbeiten für einen Anbau erledigte.
Selbstverständlich war die Baustelle direkt unter meinem Zimmer. Auf der anderen Hotelseite wurden kaum weniger laute Baumschnittarbeiten mit Motorsägen durchgeführt; offenbar waren wir keine relevanten Gäste. Unsere Gruppe war zu großen Teilen, wie sich herausstellte, ein eingespieltes Team.
Altbekannte Plätze wurden reserviert, es gab sogar richtig Streit, weil sich ein neues, nicht etabliertes Pärchen einfach an einen nur scheinbar freien Tisch mit Fensterblick gesetzt hatte. Geht ja gar nicht!
Wer nicht bei Aufschließen des Frühstücksraums sprintbereit war, bekam durchaus noch etwas zu essen, aber eben kein Ei oder Schinken. Ich komme gut mit einer Schale Cornflakes aus... also einfach nur staunen und wundern. Eine ältere, alleinreisende Dame, die sich durch ihr gepflegtes Auftreten ebenfalls als Fremdkörper darstellte, zeigte schnell einen ähnlichen Humor zur Sachlage wie ich.
Nun könnte man meinen, dass damit der Wunsch, nochmal Südtirol zu besuchen, erledigt sei. Aber es kam ganz anders. Nach den ersten zwei Ausflugstagen gab es einen Tag "zur freien Verfügung". Während die anderen den freien Tag gemeinsam nutzten, um mit dem Bus zum Traubenfest nach Meran zu fahren, hatte ich mich abgemeldet. Den Plan zur zeitweisen Flucht hatte ich sofort am ersten Tag gefasst und war in Brixen der Gruppe entkommen und zum Tourismusbüro gelaufen. Die Dame dort war richtig gut und buchte mich in die Latzfonser Tour ein.
Ausgestattet mit dem Linienbusplan, festen Schuhen und leider ohne meinen Rucksack (wie kann man seinen Rucksack vergessen?) machte ich mich morgens um halb sieben besonders leise auf, um das Hotel zu verlassen.
Leider waren alle Hoteltüren abgeschlossen. Ich kam nicht raus.
Und nirgendwo jemand da; der Frühstücksraum wurde schließlich immer schon abends eingedeckt. Mir ist wirklich fast der Kragen geplatzt: hätte es gebrannt, wären alle Türen abgeschlossen gewesen. Aus den Fenstern kam man wegen der gusseisernen Gitter nicht raus. Kein Notschlüssel erkennbar, der Zimmerschlüssel passte nicht für die Tür und ich musste zur Haltestelle noch ein ganzes Stück laufen, um den Bus nach Brixen zum Treffpunkt zu nehmen. In dem Moment fielen mir die Bauhelfer ein, die durch eine Tür in der Hausrückseite gegangen waren. Da auf mein Rufen keiner reagierte, suchte ich diese Tür von innen, fand sie hinten im Küchenbereich mit steckendem Schlüssel und flüchtete. Draussen die frische Luft des frühen Herbstmorgens... es sollte ein Traumtag werden.
Es wurde ein toller Wandertag mit sehr netten Menschen, einem prima Bergführer und zwei Hütten. Von der Latzfonser Hütte konnte man bei dem klaren Wetter fast die ganze Bergkette sehen, auch die Geisler, die so auffallend auseinanderzeigten. Und da war plötzlich diese Einheit mit der Umgebung da, die vermutlich jeder irgendwie auf dem richtigen Berg b.z.w. mit dem Blick auf den richtigen Berg spürt. Das vollständige Gefühl, hier im Jetzt genau richtig zu sein. Das muss jeder selbst erleben.
Ich musste ganz klar wiederkommen, so schnell wie möglich und individuell. Noch am selben Abend begann ich Termine zu sortieren und Fernbuslinien zu prüfen, um noch einmal eine Woche herzufahren. Und seitdem bin ich immer wieder da.